Die neue Kirche

Das von der Größe wie auch von seiner ornamentalen Ausstattung her imposante Bauwerk ist neuromanischen Stils, d.h. die Bauformen wurden denen mittelalterlicher Sakralbauten aus der Zeit der Romantik (ca. 1000 – 1250) entliehen. Solche Stilimitationen gab es hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, teilweise wurden sie auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgenommen. Der Grund für diese Stilanleihen mag eine gewisse allgemeine Orientierungslosigkeit – auch in künstlerischer Hinsicht – gewesen sein, die dann durch ein entsprechendes Imponiergehabe ausgeglichen wurde. Dies gilt, landauf landab, mehr oder weniger, für alle Bauwerke aus dieser Zeit. Dabei hat sich der Historismus, wie man diesen Zeitabschnitt in der Kunstgeschichte nennt, nicht immer genau an seine Vorbilder gehalten. Möglicherweise war es doch ungenügend, ein letztlich unzeitgemäßes Formenrepertoire gänzlich unverändert zu übernehmen. Die Frage ist nur, ob die Abweichungen von tradierten Stilmustern hier stets begründbar sind.

Die Westseite der Kirche, nicht mit der Himmelsrichtung übereinstimmend, auch Westwerk genannt, wirkt überaus mächtig, ja sogar wehrhaft, was zurückzuführen ist auf die Geschlossenheit der Fassade, die nur geringfügig gegliederten Geschosse und die kleinen Fenster. Darüber erhebt sich ein breiter Glockenturm, dessen Wuchtigkeit durch offene Säulenstellungen im oberen Teil etwas gemindert wird. Flankiert von kleinen Seitentürmen, endet dieser mittlere Westturm in einem polygonalen Turmhelm. Der in seitlichen Abtreppungen aufsteigenden Fassade ist eine halbrunde Apsis vorangestellt. Ihre Lage ist wie die der Türme und der seitlichen Portale von der Achsialsymmetrie bestimmt. Dieses Ordnungsschema der Fassadengliederung verstärkt zusätzlich den Eindruck des Strengen wie auch des Feierlichen. Das Geschoß unterhalb des Glockenturms ist durch beidseitig vorgestellte Säulen in Dreiergruppierung aufgelockert. Darüber ist eine Kreuzigungsgruppe angebracht. Den wehrhaften Charakter dieses Westteils der Kirche unterstreichen einzelne bossierte Quader, die über die ganze Fassade verteilt sind. Die rundbogigen Portale sind über dem Architrav eingefasst von Rundbogenfriesen und haben kanellierte Pilaster zu den Seiten. Im Gewände wechseln geometrische und vegetabile Ornamentik einander ab. Die im oberen Teil der Apsis vorgestellten Säulen wiederholen sich in abgewandelter Form bei den kleinen Flankentürmen, wo sie jedoch, deren Schlankheit betonend, von ganz unten bis zum Ansatz des Turmhelms aufsteigen und damit zugleich die Massigkeit des mittleren Turmes hervorheben. Das unterste Geschoß ist durch ein stärker vorragendes Gesims mit Konsolen in Kopfform von den nachfolgenden deutlich abgehoben. Dieser Absatz zieht sich um den ganzen Bau herum. Ohne die Darstellungen der Köpfe einzeln zu deuten, scheint es sich hier hauptsächlich um die Wiedergabe profanhistorischer Persönlichkeiten zu handeln, womit der Vergangenheit abermals, wenn auch im nicht-religiösen Bereich, eine Reverenz erwiesen wird. Bezeichnend für die Romanik und die sie nachahmende Lauterbacher Kirche sind deutliche formale Kontraste, etwa zwischen der Betonung der Waagrechten durch die Gesimse und der aufsteigenden Tendenz der Gesamtfassade bzw. der Türme. Gleichermaßen kontrastieren die halbrunde Apsis mit der sonst ebenen Fassade und die schlanken Flankentürme mit dem mächtigen Glockenturm.

Das basilikale Schema – niedriges Seitenschiff, erhöhtes Mittelschiff – wurde, wie in der Romanik üblich, auch bei dieser Kirche beachtet. Allerdings verrät der Außenbau nichts von dieser Raumauffassung. Denn das Satteldach des Längsschiffs ist über die Seitenschiffe hinweg bis zu den Außenmauern herabgezogen anstatt nur bis zur Mittelschiffshochwand zwischen dem Satteldach des Mittelschiffs und dem Pultdach des Seitenschiffs – sind hier nur Dachgaupen angebracht. Diese, romanischen Baugewohnheiten widersprechende Gestaltung, stimmt andererseits mit den Baupraktiken des Historismus durchaus überein. Dort ist nämlich der Widerspruch zwischen Außenbau und Innenraumgestaltung die Regel.

Im Gegensatz zu dem basilikalen Schema wird die doppelchorige Anlage unserer Kirche, erkennbar an der halbrunden Apsis zwischen den beiden Eingangsportalen, nicht verhehlt. Nur ist hier die Konsequenz in der Übernahme romanischer Bauweise nicht recht verständlich, wenn wir nämlich an den Zweck solch doppelchoriger Anlagen im Mittelalter denken. Der Altarraum im Westen war nämlich dem Kaiser zugedacht. Ihm wurde hier und nicht im Ostchor der Gottesdienst zelebriert. Außerdem diente der Westchor für sog. Sendgerichte, d.h. hier wurde im Namen des Kaisers, also der weltlichen Macht, rechtgesprochen. Schließlich war der Altarraum im Westen auch noch den Taufakten vorbehalten. Die Gründe für diesen Dualismus des romanischen Kirchenbaus – ein Altarraum im Westen und einer im Osten der Kirche – liegen zum einen in der polotischen Konstellation von Kaisertum und Papsttum, zum anderen an der Besonderheit mittelalterlicher Glaubensauffassung. Danach hatte das Westwerk mit seinem eigenen Chor Schutzfunktion gegenüber den Mächten des Bösen. Dies erklärt dann auch sein wehrhaftes Aussehen. Im Sinne einer Lichtsymbolik wurde nämlich den Himmelsrichtungen Osten und Westen bestimmte Zeichenfunktionen zugeordnet. Infolge des Sonnenaufgangs im Osten wurde dort das Heil, im Westen dagegen, wo die Sonne untergeht, wurden die Mächte der Finsternis und des Bösen gesehen. Somit hat man die Sendgerichte im Westteil der Kirche abgehalten, wobei, der Taufe vergleichbar, das Gute vom Bösen geschieden wird. Politisch gesehen, war das Mittelalter wesentlich geprägt von den Machtkämpfen zwischen Papsttum und Kaisertum. Diese Auseinandersetzung gipfelte dann in dem sog. Investiturstreit. In den doppelchorigen Anlagen der romaischen Kirchen erhielt dieser Gegensatz von weltlicher und geistlicher Macht dann seinen sichtbaren Ausdruck. Wenn wir diese Bedeutung des Westwerks und der doppelchorigen Anlage unserer Lauterbacher Kirche bedenken, fällt es schwer, den Sinn einer solchen Bauweise für unsere Zeit einzusehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als dieses Bauwerk entstand, waren weder die Lichtsymbolik und die damit verbundene dualistische Glaubensauffassung aktuell noch gab es einen Machtkampf zwischen Kaiser und Papst. Somit hatte der Westchor, allenfalls noch als Taufkirche, seine Berechtigung. Wir kommen nicht umhin, eine gewisse Sinnentleerung bezüglich der Bedeutung von Bauformen und ihre Herabwürdigung zu nichtssagenden Schmuckformen festzustellen. Diese Entwicklung wurde gewiß vom Historismus eingeleitet, sie ist aber bis auf den heutigen Tag noch nicht abgeschlossen. Schon daran erkennbar, dass die Allgemeinheit in den Kirchenbauten der Vergangenheit mehr oder weniger gelungene Schmuckkästchen sieht. Nach den Sinnbezügen der Bauformen wird erst gar nicht gefragt.

Der Beschreibung des Außenbaus ist noch hinzuzufügen, dass zum Ostteil der Kirche hin das breite aber nicht weitausgreifende Querschiff liegt, an das sich auf der einen Seite eine halbrunde Apsis und auf der anderen ein großer rechteckiger Bauteil anschließen. In letzterem befinden sich unten die Sakristei und oben ein Raum für Chorproben. Die rund abschließende, dem Mittelschiff vorgestellte Apsis im Osten ist weit vorgezogen und gleich hoch mit diesem. Im oberen Viertel ist dieser Bauteil von einem Gesims in der Waagerechten und in der Senkrechten von Säulen unterteilt, die der Mauer vorgestellt sind. Aufgelockert lediglich von einer Reihe kleiner Fenster im oberen Teil, zwei größeren und zwei kleineren Fenstern darunter, vermittelt auch der Ostteil der Lauterbacher Kirche den Eindruck burgenartiger Wehrhaftigkeit und majestätischer Verschlossenheit.

Ähnlich der Raumeindruck des Kircheninnern. Im Unterschied zu dem eher verspielten Formenrepertoire barocker Kirchen, werden hier geometrisierende Ornamente zu streng wirkender Prachtentfaltung gebracht.

Das äußerst breite Mittelschiff wird von einem kassettierten Tonnengewölbe überspannt. Gurtbögen, die in den gleichen Abständen wie die Stützen der Mittelschiffswand aufeinander folgen, markieren die Jochabfolge an der Decke. Sie wirken aber eher aufgesetzt, da die Jochbildung zusammen mit den Stützen nicht gelingt. Auch steht die Breite des Mittelschiffs in keinem Verhältnis zu den Abmessungen der Seitenschiffe. Jedenfalls vermisst man hier die Anwendung des in der Romanik stets eingehaltenen gebundenen Systems, wonach das Vierungsjoch Grundmaß für alle übrigen Raumteile ist, so dass die Seitenschiffsjoche halb so groß sind wie diejenigen des Mittelschiffs. Gleichermaßen willkürlich ist der Stützenwechsel. Während die Variation in der Romanik nach dem Schema a b a oder a b b a erfolgte, also einer strengen Regelhaftigkeit unterworfen war, fehlt hier die Systematik. Die Pfeiler zwischen Mittel- und Seitenschiff sind mal kannelliert, dann wieder mit Rundstäben in den Ecken versehen. Sie besitzen entweder Scheibenfriese oder sind mit Zickzackfriesen ornamentiert. Die Kapitelle dieser Pfeiler weisen Akanthusblattmotive auf, ihre Deckplatten sind in Form steigender Karniese gestaltet. Die Arkadenzone trennt ein Gesims mit Konsolen in Kopfform von dem Tonnengewölbe. Dieses Gesims setzt sich durch den ganzen Raum fort. Tief herabgezogene Bogenstellungen schneiden von oben in das Querschiff. Die Seitenfenster im Ostchor sind innen durch Säulen unterteilt, die wiederum durch Rundbogen miteinander verbunden sind. Rundbogenfenster belichten die Seitenschiffe und wegen der hochgezogenen Arkaden auch das Mittelschiff. Zudem sind ovale Fenster in durchgehender Reihe seitlich in das Tonnengewölbe eingelassen. Der Westchor ist als eine Nebenkapelle zugleich Gedenkstätte für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Im Westteil der Kirche erhebt sich auch die Empore mit dem im Jahr 1931 erbauten schlichten Orgelprospekt.

Zu dem Inventar der Kirche gehören ehedem ein Hochaltar mit Kreuzigungsgruppe sowie eine hochgestellte Kanzel. Letztere wurde inzwischen beseitigt, und der Hochaltar durch eine einfache Mensa mit romanischen Ornamenten ersetzt. Barockisierende Seitenaltäre befinden sich sowohl auf der Evangelien- wie auf der Epistelseite. In den Seitenschiffen stehen Beichtstühle, die, für uns nicht mehr ganz verständlich, aber in damals durchaus üblicher Weise, unvermittelt in gotischem Stil erscheinen. Ein Taufstein, romanischen Formen angepasst, steht auf der Evangelienseite. Noch zu erwähnen ist das vor kurzem freigelegte und restaurierte Wandgemälde an der Chorrückwand, Gottvater, zwei Engel und die vier Evangelisten darstellend, sowie Wandbilder der Kreuzwegstationen im Querschiff.